Aminosäuren werden Bausteine des Lebens genannt, weil sie viele Stoffwechsel- und Aufbauvorgänge sowie den Transport von Nährstoffen im menschlichen Körper steuern. Ein Mangel schwächt das Immunsystem und führt zu verschiedenen Krankheiten. Jede Aminosäure hat ihre eigenen Aufgaben, bei Glycin ist es ein breites Wirkspektrum: Es ist unverzichtbar bei der Proteinsynthese und beim Muskelaufbau, verbessert den Sauerstofftransport im Blut, schützt Knochen und Knorpel, reguliert den Blutzucker, beruhigt das Nervensystem, fördert den Schlaf, wirkt antioxidativ und entgiftend.
Eine semi-essentielle Aminosäure
Glycin (Aminoessigsäure) ist die kleinste der proteinogenen, der eiweißbildenden Aminosäuren, ein wichtiger Bestandteil fast aller Proteine und besonders stoffwechselaktiv. Der französische Chemiker Henri Braconnot hat Glycin 1819 erstmals aus Eiweißen gewonnen und die süßlich schmeckenden Kristalle „sucre de gélatine“, Leimzucker, genannt. Bald darauf wurde die Substanz in Glykokoll und 1848 in Glycin umbenannt. Der Name leitet sich vom griechischen glycis für süß ab.
Heute wird Glycin auch abgekürzt als Gly bezeichnet. Es ist eine sogenannte nicht-essentielle Aminosäure, sie kann vom Körper aus den anderen Aminosäuren Threonin und Serin hergestellt werden. Allerdings reicht das je nach Alter und Gesundheitszustand oft nicht aus, um den Bedarf zu decken. Deshalb ist Glycin genaugenommen eine semi-essentielle oder bedingt essentielle Aminosäure, die zugeführt werden sollte.
Unterstützt Kreatinbildung für den Muskelaufbau
Beim Sport benötigen die Muskelzellen viel Energie und der Körper muss schnell auf vorhandene Energiequellen zurückgreifen. Wie eine Batterie wirkt dabei Kreatin, das blitzschnell Energie bereitstellt und den Muskelaufbau sowie die Steigerung von Kraft und Schnelligkeit unterstützt. Gebildet wird die Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindung unter Beteiligung von Glycin. Es ist die wichtigste Aminosäure im Kreatinstoffwechsel für die Regeneration der Muskeln. Mehrere Studien mit isoliertem Glycin haben gezeigt, dass es in der Lage ist, die Proteinsynthese, die Durchblutung sowie die Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff in den Muskeln deutlich zu steigern.
Glycin wirkt antikatabolisch, es stoppt den Abbau von Muskelmasse. Das ist nicht nur für Bodybuilder und Sportler interessant, sondern auch für ältere Menschen, die von Muskelschwund mit einem Nachlassen der körperlichen Kräfte betroffen sind, oder bei Krankheiten, die einen Verlust der Muskelmasse mit sich bringen. In Laborversuchen hat Glycin besser als andere Aminosäuren den Muskelabbau gestoppt und die Energiezufuhr gefördert.
Gut für Knorpel, Gelenke und Bindegewebe
Das gilt auch für den Schutz von Gelenken. Denn nicht nur sportlich aktive Menschen beanspruchen sie stark, auch das Gegenteil, Bewegungsmangel, und vor allem zunehmendes Alter, machen Beschwerden. Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung, bei der die Knorpel degenerieren, sodass die Knochen aneinander reiben und Schmerzen entstehen. Auch Entzündungen mit dick geschwollenen Gelenken und Wasseransammlungen können die Folge sein.
Die Medizin bietet schmerzlindernde und entzündungshemmende Mittel an, die jedoch auf Dauer Nebenwirkungen haben können. Ob auch ein natürlicher Stoff Arthrose mildern kann, haben Forscher mit 600 an schmerzhafter Gelenkknorpel-Degeneration erkrankten Patienten jeden Alters untersucht. Sie erhielten neben den Medikamenten zusätzlich Glycin. Nach vier Monaten konnten sie die Tabletten um die Hälfte reduzieren, die Teilnehmer, die ein Placebo einnahmen, hatten keinen Effekt. Nach einem Jahr waren viele sogar völlig beschwerdefrei. Es heißt, dass Glycin keine toxischen Eigenschaft hat und deshalb über einen langen Zeitraum eingenommen werden kann.
Glycin baut Kollagen auf
Der Aufbau der Gelenkknorpel erfolgt über das Strukturprotein Kollagen, das zu einem Drittel aus Glycin besteht. Es verleiht ihm gleichzeitig Elastizität und Festigkeit. Diese Eigenschaften werden in der Haut, in Bändern und Sehnen, im Knorpel, in Knochen, in der Skelettmuskulatur, in Blutgefäßen und sogar in den Zähnen gebraucht. Auch Haare und Nägel werden schöner, wenn genug Kollagen vorhanden ist. Ein Mangel kann zu einer Bindegewebsschwäche führen, mit Erschlaffung der Haut und der Blutgefäße, mit Organsenkungen, Krampfadern und anderem mehr.
Eine Bindegewebsschwäche ist oft erblich bedingt, in diesem Fall hilft neben viel Bewegung, Sport und Ernährung auch die Einnahme einer Aminosäure wie Glycin, die nachweislich den Abbau des Gewebes verhindert. Kollagen kann zudem Menschen helfen, die chronische Verdauungsprobleme oder eine Darmerkrankung haben, weil es an der Produktion von Gallensäuren und anderen Enzymen beteiligt ist, die zur Verdauung der Nahrung benötigt werden, und am Aufbau einer gesunden Darmschleimhaut. Damit kann Glycin lindernd sein bei chronischen Verdauungsbeschwerden.
Neurotransmitter zur Beruhigung
Die Signalweiterleitung in den Nervenzellen erfolgt an den Synapsen mithilfe von Botenstoffen. Sie aktivieren spezielle Rezeptoren in den nächsten Zellen, sodass es zu einer Anregung oder Hemmung von deren Aktivität kommt. Dieses Zusammenspiel muss harmonisch sein, damit das Gehirn und das Nervensystem gut funktionieren und der Mensch sich wohlfühlt. Ein gestörtes Gleichgewicht führt zu Unruhe und im schlimmsten Fall zu neurologischen Erkrankungen.
Glycin ist ein solcher Neurotransmitter, der sich an hemmende Glycinrezeptoren in der Zellmembran bindet und über spezielle Kanäle eine überaktive Hemmung reduziert. Signale im zentralen Nervensystem werden abschwächt, Hyperaktivität, Angstgefühle, Reizbarkeit und Aggressivität gemildert. Ein Vorgang, der sogar bei Schizophrenie nützlich sein kann. Wie Untersuchungen ergeben haben, kann Glycin, abends eingenommen, die Einschlafzeit verkürzen und einen erholsamen Schlaf fördern, ohne dass es am nächsten Tag zu Müdigkeit kommt. Im Gegenteil, die Leistungsfähigkeit war deutlich erhöht. Glycin ist auch ein Baustein für die Biosynthese von Häm, einem Bestandteil der roten Blutkörperchen, die Sauerstoff durch den Körper transportieren, die Zellfunktion unterstützen und Gewebe, Herz und Gehirn mit Energie versorgen.
Schutz vor Diabetes und Herzkrankheiten
Weil man beobachtet hat, dass Glycin die Insulinreaktion bei Menschen ohne Diabetes steigert, geht man davon aus, dass es diese bei Typ-2-Diabetes verbessern kann, wenn es als Supplement eingenommen wird. Außerdem sollen höhere Glycin-Spiegel das Risiko verringern, diese Krankheit überhaupt erst zu bekommen.
In einer über Jahre laufenden Beobachtungsstudie mit über 4000 Menschen wurde außerdem deutlich, dass eine ausreichende Menge Glycin im Körper ein geringeres Risiko für Herzkrankheiten und Herzinfarkte bedeutet. Auch der Cholesterinspiegel war bei den Teilnehmenden niedriger, wenn sie hohe Glycin-Werte hatten. Wissenschaftler vermuten, dass die Ansammlung spezieller Moleküle, die mit Herzkrankheiten und Atherosklerose, der Verhärtung und Verengung der Arterien, in Verbindung gebracht werden, verhindert wird. Ferner soll Glycin die Fähigkeit des Körpers, Stickstoffoxyd zu produzieren, fördern. Stickstoffoxyd ist ein wichtiges Molekül, das den Blutfluss steigert und den Blutdruck senkt.
Entzündungshemmend und antioxidativ
Aminosäuren bauen Moleküle auf, die über sogenannte Peptide miteinander verbunden sind. Ein Tritpeptid aus drei Aminosäuren ist Glutathion, ein wichtiges Antioxidans, das freie Radikale zerstört, sodass es nicht zum oxidativen Stress in den Zellen und zu Krankheiten kommt. Glycin ist unverzichtbar für die Bildung von Glutathion.
Auch kann Glycin laut mehrerer Studien Entzündungen, beispielsweise in der Leber, reduzieren und verhindern. Es wurde eine Unterstützung der Entgiftungstätigkeit, ja sogar eine Reparatur von Leberschäden beobachtet. Entzündungen entstehen auch bei Infektionen und Verletzungen und können, wenn sie chronisch werden, viele Krankheiten begünstigen. Sie heilen aus, wenn ausreichend Glycin vorhanden ist. Die Aminosäure signalisiert den Zellen, dass keine Entzündungsabwehr mehr nötig ist.